Das Ich, umkreist wie ein Fremdkörper
Segmente einer Biographie: Andrea Scrima erzählt ein Leben, gebaut aus Erinnerung und Fantasie.
Anton Thuswaldner in Die Furche, Sonderbeilage „Booklet“, April 2018
Es geht sprunghaft zu in diesem Buch, das sich auf kleine Segmente einer Biografie konzentriert, die dafür detailgenau festgehalten werden. Chronologie wird aufgehoben, Linearität wird so im Vorfeld unmöglich gemacht. Eine Synchronizität der Ereignisse stellt sich ein, was deren Enthierarchisierung entspricht. (…) Die Szenen, angesiedelt an konkreten Adressen, die dem Buch Bodenhaftung verschaffen, werden flankiert von kürzeren Passagen reflexiver Gestalt, in denen ein Ich Selbstüberprüfung anstrebt, intensiv Auskunft über eigenes Denken und Fühlen erteilt. Das eigene Ich wird umkreist wie ein Fremdkörper, ein rätselhaftes Ding, das sich nicht recht erschließen lässt. „Ein Blick, mehr nicht, und eine stille Lawine gerät in Bewegung, eine stumme Katastrophe.“ So könnte eine Poetik beginnen, die davon ausgeht, wie aus etwas scheinbar Harmlosem etwas Bedrohliches entsteht. Das Bedrohliche im konkreten Fall rührt daher, dass der Blick auf äußere Anzeichen angewiesen ist, aus denen er ein Ganzes formt. Das Problem – Lob der Fantasie hin, Kritik der Fantasie her – besteht darin, dass sich ein Individuum aus diesen Kürzeln einer Beobachtung nicht definitiv benennen lässt. Wahrheit ist eben nicht so leicht aus der reinen Anschauung zu haben. Gestehen wir es jedem zu, für den anderen Fragment bleiben zu dürfen. Das ist ohnehin schon sehr viel.
The book, which consists of short biographical segments described in great detail, skips from scene to scene. Chronology is suspended from the start, all linear continuity rendered impossible. A synchronicity of events crystallizes just as any hierarchy that might arise between them is dissolved; temporal planes merge to create a parallelism of concurrence. (…) The scenes in A Lesser Day take place at concrete addresses that anchor the book in time and place; they are flanked by shorter passages of a more reflective nature in which a self subjects itself to scrutiny, takes immediate stock of its thoughts and feelings, circles around itself like a foreign body, a mysterious thing that doesn’t quite lend itself to comprehension. “A look, nothing more, and a quiet avalanche is set into motion, a wordless disaster.” This could form the departure point of a poetics that explores how something seemingly harmless can transform into something perilous. In concrete terms, the threat derives from the fact that our understanding of things is contingent on external impressions out of which we fashion a larger whole. The problem with this, regardless of however we might praise or criticize fantasy, is that an individual can’t be reconstructed definitively from abbreviated perceptions—it’s not that easy to distill truth from observation. Better to allow ourselves to remain fragmentary to one other—that alone would be considerable.