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Monthly Archives: April 2018

PATTERNS OF EROSION: 

A Conversation with Andrea Scrima on A Lesser Day and the new German edition, Wie viele Tage. 

“She sees a slip of paper lying on the street at the point of projected convergence, and she picks it up with a feeling that retrieving it is somehow necessary and crucial. That’s a key passage in the book, and it comes close to describing a relationship to meaning, in the way that you’re living in an insentient world, in a world of natural phenomena, man-made phenomena, trains and buses and buildings and streets, yet things are constantly happening that can suddenly seem to be saying something to you. The phrase I use in the book is ‘a language of happenstance […] in the din of occurrence.’ Searching for meaning in these chance occurrences—the superstitious see signs in coincidences, but you could also think of them as constituting a kind of language. But whose, and to what purpose?”

Read the full interview online here

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“A linear narrative is sacrificed in favor of a porous, associative composition that blurs dimensions through its mantra-like ‘but that came later.’ History becomes palpable as a background murmur. The reconstruction of the turbulent decade in which the narrator’s vagabond life takes place is achieved through newspaper clippings, which she appropriates artistically. What remains is an inquiry into the time-space continuum: to what degree is the artist today the person she encounters in the layers of her painting surfaces, her texts, the layers of her past? These are things Andrea Scrima writes about wonderfully in her autobiographically colored debut.”

— Senta Wagner, Buchkultur 177  2/2018

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Wonderful words by writer Lance Olsen: 

“Fantastic reading/conversation last night with the ever thoughtful, existentially attentive, compassionate, wise, wildly talented, & fascinating Andrea Scrima about her post-genre autre-biography, A Lesser Day, its just-released German translation, Wie viele Tage, the spatial dimensions of memory, her use of the slippery ‘you’ in the text, the problematics of helping bring one’s own work over into a second language in which one is fluent, & so much more.”

April 12, 2018

me & rebecca lettrétage

Moderated by Rebecca Rukeyser.

“Respekt ist das erste Gefühl, dass sich bei der Lektüre einstellt: man hat Respekt vor der unbeirrbaren Widerständigkeit einer Frau, die ihren Lebensort sucht und ihre Identität als Künstlerin entschieden verteidigt. (. . .) Leben konnte die Malerin von ihrer Kunst nie.  Aber die Erzählerin, die sich immer wieder an ein wechselndes, aber vertrautes Du wendet, nutzt die Unsicherheit ihrer Künstlerexistenz und entwickelt daraus eine beeindruckende Freiheit des Denkens und Handelns.”

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Ein Leben im Pendelflug zwischen New York und Berlin. Heute hier, morgen dort, zerrissen zwischen zwei Welten und beheimatet immer nur auf Zeit. Die Amerikanerin Andrea Scrima erzählt in ihrem ersten Buch “Wie viele Tage” aus dem Leben einer Künstlerin in den 1980er und 90er Jahren. Sie gehe zwar von persönlichen Erinnerungen aus, lasse sich dann aber zu weiteren Fantasien anregen, sagte Andrea Scrima im Interview. Die Struktur des Buches orientiere sich vor allem an Marie Luise Kaschnitz’ Aufzeichnungen “Orte”.

Kaschnitz ordnete ihre eigenen Lebenserinnerungen in Form von Selbstbefragungen und Momentaufnahmen nach den Wohnorten ihres Lebens. Nach diesem Prinzip blickt auch Andrea Scrimas Protagonistin zurück auf ihre ersten vierzig Lebensjahre. In Berlin erlebt sie den Fall der Mauer und in New York verändert der Terroranschlag auf das World Trade Center die Skyline ihrer Heimatstadt.

Scrima collagiert Rückblicke mit Skizzen von Wohnorten, die wie Polaroidfotos kurz aufblitzen. Vom Elternhaus auf Staten Island über den Umzug ins New Yorker East Village und in das geteilte Berlin bis zu Zwischenstationen in Brooklyn folgt die Autorin den Ortswechseln einer jungen Amerikanerin in prekären Lebensverhältnissen. Respekt ist das erste Gefühl, das sich bei der Lektüre einstellt. Man hat Respekt vor der unbeirrbaren Widerständigkeit einer Frau, die ihren Lebensort sucht und ihre Identität als Künstlerin entschieden verteidigt. Die Wohnungen und Fabriketagen, in denen die Protagonistin lebt und arbeitet, sind billig, zugig und kalt. Leben konnte die Malerin von ihrer Kunst nie. Aber die Erzählerin, die sich immer wieder an ein wechselndes, aber vertrautes “Du” wendet, nutzt die Unsicherheit ihrer Künstlerexistenz und entwickelt daraus eine beeindruckende Freiheit des Denkens und Handelns. Sie lässt sich Zeit für Beobachtungen und die Gefühle, die sie auslösen. Schichtweise legt sie in alten Notizen die verlorenen Lebensträume ihres verstorbenen Vaters frei. “Und dann der Moment des Erkennens, dessen betäubende Wirkung”, erinnert sich die Protagonistin an erhellende und beängstigende Augenblicke. Sie will Erkenntnis schöpfen über den Sinn unserer Existenz und den Umgang mit Vergänglichkeit und Verlusten. Die assoziativen Notizen folgen keiner Chronologie, es gibt weder Handlung noch Dialoge in diesem Buch. Die Erzählerin misst die Zeit am Trockenprozess von gepressten Teebällchen, die sie auf dem Fensterbrett zu Kunstobjekten arrangiert, sie vertieft sich in das Muster der Abnutzung auf dem Küchenfußboden: “Wie zuerst das Weiße des Vorstrichs unter dem Lack sichtbar wurde”, schreibt sie, “wie dann die nackte Platte durchschien, jedes Jahr ein bisschen mehr.”

Die unerfüllte Sehnsucht nach Beständigkeit inmitten von Umzügen und Kurzzeitjobs ist bedrückend und bringt doch Kontinuität in den Roman. Forschend blickt die Protagonistin auf ihr jüngeres Selbst, fragt sich, was sie damals noch nicht wissen konnte, verweist auf zukünftiges Wissen, ohne dies aber zu enthüllen. “Dicke Schwaden Vergangenheit” hängen schwer in der Luft, kriechen im Empfinden der späten Mutter, die sich allmählich zur Textkünstlerin wandelt, aus allen Ecken des Zimmers, wo sie den Nachlass ihres Vaters ordnet. Der Überseekoffer ihrer Urgroßmutter, die einst von Deutschland in die USA emigrierte – “wohin führt mich all das?”, fragt sich die Erzählerin. Es führt sie und den Leser zu unvergleichlich intensiven Momentaufnahmen und der Gewissheit, dass jeder Tag, jede Minute es wert ist, festgehalten zu werden — in Bildern und in Worten. So wie der Augenblick, als die Strahlen der Spätnachmittagssonne auf Hunderten von Taubenflügeln flackern und sie in ein leuchtendes Orange tauchen. Andrea Scrima malt mit Worten und entreißt den Moment der Vergänglichkeit durch ihre Alltagspoesie. Das alles braucht Zeit, viel Zeit, um zu reifen. Es ist das Glück des Lesers, dass Andrea Scrima sich diese Zeit genommen hat.

— Claudia Fuchs