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Monthly Archives: October 2021

I had the opportunity to read from “Kreisläufe” at the Independent Publishers’ Reading Island at the Frankfurt Book Fair, moderated by my wonderful publisher Annette Knoch. Thank you, Literaturverlag Droschl. I feel very lucky.

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Es sollte möglich sein, so habe ich mir eingeredet, ein paar Tage in der Gegenwart meiner Mutter zu verbringen, ohne der Macht der Vergangenheit zu erliegen. Es ist eine Frage des Willens. Stell dir einen unsichtbaren Kokon um dich herum vor, ein Kraftfeld, hat Micha gesagt und dabei die Finger zu beiden Seiten seines Gesichts zu einem Strahlenkranz auseinandergespreizt, doch ich war nie gut in dieser Art von Übungen. Ich werde zu einem Blitzableiter für genau die Dinge, die ich eigentlich von mir fernhalten sollte. Ich zerre das Kissen unter meiner Wange hervor und drehe es auf die kühle Seite. Obwohl das Gerät leise gestellt ist, kann ich durch die Rigipswände die blechernen Stimmen aus dem Transistorradio hören, das meine Mutter mit ins Bett nimmt, so wie wir früher unserem Hund, damals noch ein Welpe, einen Wecker in ein Handtuch gewickelt unter die Decke legten, damit dieser den Herzschlag seiner Mutter simulierte und ihn in den Schlaf lullte. Sie hat ihren Lieblingssender eingestellt, ein Talkradio-Programm: erregte Stimmen, hektische Stimmen, die von wer weiß woher anrufen, weil sie eine Beschwerde loswerden oder sich für eine Sache einsetzen oder irgendeine verrückte Idee vortragen wollen, die sie fesselt und nicht mehr loslässt.

Ich schaue auf meine Armbanduhr und sehe, dass es früh am Morgen ist. Benommen vom Jetlag setze ich mich auf und versuche mich zu orientieren. Die Dielen über mir knarren; inzwischen gibt es Mieter im Haus, aber als wir hier aufwuchsen – Delphine, Lillie, Alfie und ich –, wohnten oben unsere Großeltern, und der Raum, in dem sich unser Leben abspielte, hatte eine andere Geografie. Als ich vergangene Nacht die Tür zum Flur schloss, blieb meine Hand auf dem Knauf liegen und tastete nach einem Gefühl aus der Zeit, in der die Tür immer offen stand und das Haus noch nicht unterteilt war in Privatwohnungen und einen Flur, den die Mieter nutzten; in der Oben und Unten noch verbunden waren durch eine Treppe, die Alfie und ich auf dem Bauch hinabglitten wie Schlangen. Hier zogen sich Lillie und Delphine zurück, um ungestört telefonieren zu können; sie zerrten am Telefonkabel und hockten sich auf die fünfte Stufe – denn weiter als bis zur fünften Stufe reichte es nicht –, wo sie hinter der Tür Geheimnisse in den Hörer flüsterten. Blockier die Leitung nicht, höre ich meinen Vater sagen, und darin schwang mit, dass jemand versuchen könnte, mit wichtigen Nachrichten durchzukommen, dass jeden Augenblick schlimme Nachrichten eintreffen könnten. 

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— aus Kreisläufe, Literaturverlag Droschl 2021

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At the Frankfurt Book Fair with Annette Knoch, publisher extraordinaire; me; our amazing PR person Henrike Blum; fellow Droschl author and editor of Manuskripte Andreas Unterweger; and the equally amazing Julia Marquardt of Kirchner Kommunikation. Lucky to be in such formidable company and happy to present this book that took so long to write.

“Ein Kaffeefleck auf dem weißen Herd, Spuren im überfrorenen Schnee: Es sind Alltagsbeobachtungen, aus denen Andrea Scrima in ihrem neuen Roman Poesie schöpft. Präzise, ästhetische Beschreibungen rufen Bilder vor unser inneres Auge, die vertraut sind – und die wir doch so noch nie gesehen haben. Sie werden zu Metaphern für die Zeit, das Kommen und Gehen unserer Erinnerungen.”

— Anne Kohlick, Deutschlandfunk Kultur

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